Naturwissenschaftliche Bildung für Politiker
Die Bildungserwartungen und die Bildungsideale sind auf idealistische Ziele ausgerichtet
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Harald Stumpf
Physiker
"Eine notwendige Bedingung ist, dass gegenwärtig und zukünftig
jeder weitere zivilisatorische Entwicklungsschritt im voraus geplant und
diskutiert werden muss, indem auf naturwissenschaftlicher,
soziologischer, wirtschaftlicher und psychologischer Basis Modelle
der Zivilisationsentwicklung durchgerechnet werden. Für die
gesamtgesellschaftliche Systemanalyse besteht in der Bundesrepublik
jedoch kein geeignetes geistiges Klima. Um solchen Versuchen entsprechende
Resonanz zu verschaffen und sie in politische Aktion umzusetzen,
müssen hinreichend viele Bürger entsprechend ausgebildet sein.
Die Bildungserwartungen und die Bildungsideale der deutschen Bürger
sind nicht auf derartige Ziele ausgerichtet.
Unsere Gesellschaft benutzt zur Gestaltung ihres Daseins bis zum Exzess
die naturwissenschaftliche Technik, nicht aber naturwissenschaftliche
Vernunft und Logik.
Die Bildungsideale unserer Gesellschaft hat K[arl] Steinbuch als Produkte
unserer Hinterwelt, d.h. unserer spezifisch deutschen Geisteshaltung,
decouvriert.
Die katholische Kirche sieht sich auf Grund ihren langen Tradition und
vielfacher dogmatischer Fixierungen vor besondere Schwierigkeiten gestellt,
die rational gebotene Adaption an die sich verändernden
Lebensumstände zu bejahen und zu fördern [...]
In einer Zeit, in der mit Rechenmaschinen Modelle für politische,
wirtschaftliche und ökologische Prozesse als Entscheidungsgrundlage
durchgerechnet werden und deren Umwelt voll von künstlichen
Gebilden ist, besteht in der Bundesrepublik die überwiegende Zahl
der höheren Staatsbeamten aus Juristen, denen der Ausbildung nach
ein Verständnis für technologisch-zivilisatorische Abläufe
fehlen muss. Abgesehen vom Forschung- und Bildungsbereich sowie von den
staatlichen industriellen und Dienstleistungsbetrieben, sind
Naturwissenschaftler in den Bereichen des klassischen Staatsdienstes
eine Seltenheit.
Ebenso ist das soziologische Problem der Politikerauslese ungelöst.
Es ist an der Zeit, akademische Qualifikationen als Vorausbedingung auch für die politische Laufbahn zu fordern. Da moderne Industriestaaten äußerst komplizierte Gebilde sind, leuchtet es unmittelbar ein, dass ein nicht zweckmäßig Ausgebildeter nichts in der Führungsspitze zu suchen hat.
Die politische Laufbahn ist für Naturwissenschaftler nicht
durchlässig, obwohl erfolgreiche naturwissenschaftliche Arbeit
Wissenschaftlern in vielen Fällen auch für quantitative Analyse,
Planung und Durchführung öffentlicher Aufgaben qualifizieren
würde.
Zufolge mangelnder [naturwissenschaftlicher] Bildung wird
sozioökologische Systemanalyse und Planung mit Staatssozialismus
oder sozialistischer Planwirtschaft identifiziert oder verwechselt
und sodann aus weltanschaulichen Gründen abgelehnt. Man kann auch
vermuten, dass viele Fehlentscheidungen nicht durch den Druck der
Lobby, sondern durch mangelnde intellektuelle Kompetenz zustande
kommen."
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