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Anthropozentrische Fehleinschätzungen

Die Evolution und der Homo Sapiens

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Bernhard Rensch Bernhard Rensch

Zoologe

"Der Homo sapiens stellt [...] unbezweifelbar nur einen Ast des vielverzweigten Stammbaumes aller Lebewesen dar. Jedes heutige Individuum ist nur ein hochkomplexes Produkt von Zellvermehrungen in der kontinuierlichen Folge der menschlichen Keimbahnen, die selbst nur Abzweigungen des einheitlichen Lebensstromes sind.

Aber dieser menschliche Stammbaumast hat nun das Höchste gebildet, was die Erde [...] hervorgebracht hat, und vielleicht ist damit auch ein gewisser Abschluss erreicht worden.
Parallel mit der körperlichen Stammesgeschichte, parallel speziell mit der Vergrößerung und Vervollkommnung von Hirn und Sinnesorganen hat sich das psychische Leben entfaltet. Die Zunahme der Gedächtnisleistungen hat schon bei den höchsten Tieren zu Vorstellungsfolgen geführt, die mögliche zukünftige Abläufe einbeziehen und entsprechende Wahlhandlungen erleichtern und die wir als tierisch, nichtsprachgebundenes (averbales) Denken bezeichnen können. Diese geistige Tätigkeit führte dann durch Denken in Wörtern [verbales Denken] beim Menschen zu abstrakten Begriffen und induktiv zur Erkennung der Weltgesetzlichkeiten.

Falsches Denken wurde dabei wegen mangelhafter Übereinstimmung mit den Abläufen der Umwelt immer wieder korrigiert. So entstand kausales und logisches Denken in Anpassung an eine kausale und logische Weltgesetzlichkeit."

Australopithecus afarensis

"Der Komplikationsgrad des Denkens und des damit bedingten Handelns ist nun bei heute lebenden Menschen so groß geworden, dass man die Abhängigkeit der speziellen Vorstellungsfolgen von ererbten Anlagen, von Erziehung und persönlichen Erlebnissen, d.h. von all dem im Hirn gebildeten Assoziationen, nur noch in einem sehr geringen Ausmaß zu beurteilen vermag. Der Mensch meint deshalb einen »freien Willen« zu haben, der ihn prinzipiell von allen Tieren unterscheidet. [Siehe hierzu auch Wolf Singer!] Und auf dieser Grundlage konnte der Kulturmensch erst die für seine Lebensführung so wichtigen Begriffe der persönlichen Ideale, der persönlichen Verantwortung, der sittlichen und religiösen Normen, der Schuld, des Gewissens usw. bilden. Damit entstanden auch alle rein geisteswissenschaftlichen Aspekte der Menschen, wie sie in unzähligen Büchern von Psychologen, Theologen und Historikern, von Soziologen und Juristen, von Schriftstellern und Dichtern vorliegen. Vergessen wir darüber nicht, dass der biologische Aspekt nicht weniger bedeutungsvoll ist, der uns das Werden des heutigen Menschen, seine stammesgeschichtliche Sonderstellung, seine psychische Einzigartigkeit im Reiche des Lebendigen, aber auch die Gebundenheit seines Denkens und Handelns verständlich macht. Einzigartig ist vor allem die spezielle körperliche und geistige Konstitution jedes menschlichen Individuums."
Bild: Australopithecus afarensis, lebte vor 2,9 bis 3,9 Millionen Jahren.
(nach einem Diorama des American Museum of Natural History, New York)
"[Es] finden sich schon bei Säugetieren und Vögeln Vorstufen von Eigentumsbegriffen, von Rechtsgefühl, von Werturteilen, von ästhetischen Urteilen und vor allem (besonders bei Rangordnungsansprüchen) von einer Ich-Vorstellung. Auf dieser Grundlage hat sich die Persönlichkeit des Menschen entwickelt, die anscheinend über eine weitgehende Handlungsfreiheit verfügt. Diese Tatsache hat stark dazu beigetragen, eine unteilbare, individuelle Seele anzunehmen.

Das Tag für Tag erlebte Existieren seines Ichs ist für jeden einzelnen Menschen zudem eine so elementare Erfahrung, dass ihm eine künftige Nicht-Existenz nicht einleuchten will und dass er darum gern an eine unsterbliche Seele glaubt."

DNA

"Es ist für unser Weltbild wichtig, sich klarzumachen, wie schwer diese Annahme mit der Tatsache zu vereinen ist, dass die menschliche Individualität etwas Relatives ist, körperlich gewissermaßen nur die differenzierte Zellvermehrung einer kontinuierlichen Keimbahn, psychisch der sich parallel differenzierende Erlebniskomplex von Phänomenen."


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